Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Dich richtig verstehe. Ich bereite Dir mal den Fall so, wie ich das an der Universität gelernt habe, gutachtenmäßig auf, und Du schreist bitte ggf. Stopp.
SachverhaltDie absurdische Staatsangehörige A und der Deutsche B sind verlobt. Die Deutsche Botschaft Absurdistan erteilt A antragsgemäß ein Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte zu Besuchszwecken. Die Gültigkeitsdauer beträgt 30 Tage. Von ihrer Absicht, während des Besuchs den B zu heiraten, hatte A der Botschaft nichts mitgeteilt; sie war auch nicht danach gefragt worden. A war fest davon ausgegangen, dass sie nach der Eheschließung in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten würde und nicht erneut ausreisen müsste.
A reist mit dem Schengenvisum ein und schließt bereits eine Woche darauf vor dem Standesbeamten in X-Stadt eine Ehe mit B. Zwei Tage später beantragt sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft bei der Ausländerbehörde, in deren Bezirk A und B die eheliche Lebensgemeinschaft führen wollen.
Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg?
LösungDer Antrag hat Erfolg, wenn er bei der zuständigen Behörde gestellt wird und in der Sache ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht.
Der Antrag ist nicht ohne Aussicht auf Erfolg, wenn er bei der zuständigen Behörde gestellt wird und zwar in der Sache ein Anspruch nicht besteht, aber die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege vorliegen.
I. Zuständige Behörde
Fraglich ist, ob die Behörde, bei der der Antrag gestellt wurde, zuständig ist. Die Zuständigkeit ergibt sich hier aus § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG iVm der einschlägigen landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschrift.
II. Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
A könnte einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3
AufenthG haben.
1. Der Anwendungsbereich des
AufenthG ist eröffnet, § 1 Abs. 2
AufenthG.
2. A ist Ehegattin eines Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und aE
AufenthG. A und ihr Ehegatte beabsichtigen, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft iSd Art. 6
GG, § 1353 BGB zu leben. Es handelt sich also um einen Familiennachzug iSd § 27 Abs. 1
AufenthG. Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3
AufenthG sind erfüllt; für ein Vorliegen ausnahmsweiser Versagungsgründe (z.B. § 27 Abs. 3 AufenthG) ist nichts ersichtlich.
3. Es müssten auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5
AufenthG erfüllt sein.
a) Vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen kann nicht nach Maßgabe des § 5 Abs. 3
AufenthG abgesehen werden, weil eine Aufenthaltserlaubnis nicht zu den Zwecken der von dieser Vorschrift in bezug genommenen Vorschriften begehrt wird.
b) Mangels entgegenstehender Angaben ist davon auszugehen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 1a, Nr. 3, 4
AufenthG erfüllt sind.
c) Fraglich ist aber, ob auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG erfüllt ist. Es dürfte kein Ausweisungsgrund vorliegen. Gem. § 55 Abs. 1, 2 Nr. 1 Buchst. a
AufenthG kann insbesondere ausgewiesen werden, wer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Anwenderstaates des Schengener Durchführungsübereinkommens durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht hat.
aa) Falsche Angaben hat A nicht gemacht.
bb) Möglicherweise kann aber in dem Verschweigen der Absicht, eine Ehe einzugehen und sodann legal in Deutschland eine eheliche Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen zu führen, eine unvollständige Angabe iSd Vorschrift gesehen werden. Ob dies zu bejahen ist, kann jedoch dahinstehen, wenn die Anwendung des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 1, 2 Nr. 1 Buchst. a Var. 2
AufenthG im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aus Spezialitätsgründen zu unterbleiben hätte. Der von § 55 Abs. 1, 2 Nr. 1 Buchst. a Var. 2
AufenthG behandelte Fall wird im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen bereits von § 5 Abs. 2 S.1 Nr. 2
AufenthG tatbestandlich vollumfänglich abgedeckt. § 5 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG wäre überflüssig, wenn das Fehlen der dort zu prüfenden Voraussetzungen bereits stets zu einem Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG führen würde. Da der Gesetzgeber diese doppelte tatbestandliche Abdeckung desselben Sachverhalts offensichtlich übersehen hat - die Verweisung erfasst eine Vielzahl, v.a. mit strafgerichtlichen Verurteilungen zusammenhängender Ausweisungsgründe - , ist § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Verweisung nicht als sich auch auf § 55 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a Var. 2 erstreckend auszulegen ist.
cc) § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis somit nicht entgegen.
d) Möglicherweise stehen einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2
AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2).
aa) Fraglich ist, ob der Anwendungsbereich der Vorschrift ausnahmsweise ausgeschlossen ist.
aaa) Durch § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG wurde das Bundesministerium des Innern iSd Art. 80
GG ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats zu bestimmen, dass der Aufenthaltstitel nach der Einreise eingeholt werden kann. Diese Verordnungsermächtigung kann sinnvollerweise nur so verstanden werden, dass bei Vorliegen der im Verordnungswege zu bezeichnenden Voraussetzungen die Anwendung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ausgeschlossen sein muss. Die Ermächtigung, die Einholung des Aufenthaltstitels nach der Einreise zu ermöglichen, würde leerlaufen, wenn dennoch weiterhin vorausgesetzt wäre, dass die Einreise mit "dem erforderlichen Visum" iSd § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 erfolgt ist. Durch § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG wird das Bundesministerium des Innern folglich ermächtigt, Ausnahmetatbestände zu § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 zu definieren; diese Zielsetzung bestimmt Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung iSd Art. 80
GG. Ob auch von der Anwendung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG abzusehen ist, kann dagegen nicht pauschal auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG beantwortet werden, sondern nur im Kontext der jeweiligen Verordnungsbestimmung.
bbb) Das Bundesministerium hat von der Ermächtigung des § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG mit Zustimmung des Bundesrats durch § 39
AufenthV Gebrauch gemacht. Nach § 39 Nr. 3 Var. 2
AufenthV kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für rechtmäßige Aufenthalte besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise entstanden sind. Im Fall der A ist der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erst mit der Eheschließung, also erst nach der Einreise entstanden; A besitzt auch ein gültiges Schengen-Visum für rechtmäßige Aufenthalte. Folglich kann sie gem. § 39 Nr. 3 Var. 2
AufenthV einen Aufenthaltstitel grundsätzlich im Bundesgebiet nachholen. Da sich der Verordnungsgeber entschieden hat, eine solche der Einreise nachgelagerte Einholung gerade für die Inhaber von Schengenvisa genügen zu lassen, kann § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG bei verständiger Betrachtung nicht mehr als anwendbar betrachtet werden. Denn § 39 Nr. 3 Var. 2
AufenthV würde sonst leerlaufen: Die Inhaber von Schengen-Visa haben regelmäßig keine Angaben zu einem beabsichtigten Daueraufenthalt in ihrem Visumantrag gemacht, sonst wäre ihnen ein Schengenvisum nicht erteilt worden. Der Verordnungsgeber hat aber in Erfüllung der Ermächtigung aus § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG gerade die Verfestigung des Aufenthalts auch von Menschen ermöglichen wollen, die bei der Beantragung eines Sichtvermerks ihre Bereitschaft zur Rückkehr in ihren Heimat- bzw. Aufenthaltsstaat bekundet haben. Daher sind die §§ 99 Abs. 1 Nr. 2, 39 Nr. 3
AufenthV leges speciales zu § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG.
bb) Der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG ist ausgeschlossen. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG steht somit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.
e) Hilfsweise ist zu bemerken, dass nach § 5 Abs. 2 S. 2
AufenthG die Voraussetzungen für ein Absehen von der Voraussetzung des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AufenthG vorliegen würden. Für das Absehen von der Voraussetzung sprechen vorliegend der verfassungs- und konventionsrechtliche Rang eines ungestörten Ehe- und Familienlebens (Art. 6
GG, 8 EMRK) sowie die erhebliche Mehrbelastung privater und öffentlicher Haushalte bei einer Nachholung des Visumverfahrens. Gegen das Absehen von der Voraussetzung sprechen einzig generalpräventive und ordnungspolitische Erwägungen. Diese Belange treten gegenüber den für das Absehen von der Voraussetzung sprechenden Faktoren mit solcher Eindeutigkeit zurück, dass das Ermessen insoweit auf Null reduziert wäre.
f) Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sind erfüllt.
4. A hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3
AufenthG.
III. Der Antrag hat Erfolg.